Das Papieri-Areal verfügt über ein schweizweit einzigartiges Energiesystem: Komplette Energie-Selbstversorgung zum Heizen und Kühlen und knapp die Hälfte des Strombedarfs wird vor Ort produziert. Um diese Mammutaufgabe zu lösen, braucht es visionäre und kreative Köpfe. Zwei davon stellen wir hier vor: Energieberater und geistiger Vater des Papieri-Energiesystems, Georg Dubacher, und Leiter Realisierung
bei der Cham Group, Roland Regli, der die Planungs- und Bauprozesse auf dem Areal steuert. Ihre Arbeit setzt die Ziele der Bauherrin um, einen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu leisten. Die beiden erzählen, wie die verschiedenen, nachhaltigen Systeme funktionieren und welche Vorteile für die Menschen entstehen, die künftig auf dem Papieri-Areal leben, arbeiten und wohnen.
«Normalerweise plant der Architekt bei einem Bauprojekt zuerst das Objekt. Daraus lässt sich berechnen, wie viel Energie benötigt wird, und man entwickelt gemäss den Vorgaben das notwendige Energie-System dafür», erklärt Georg Dubacher. Bei der Arealentwicklung Papieri wählte man bewusst einen komplett anderen Ansatz. Die Bauherrschaft Cham Group wollte von Anfang an einen Beitrag zur Erreichung der Energieverlagerungs- und Klimaziele leisten, aber gleichzeitig die Bedürfnisse und Komfortansprüche der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner berücksichtigen. Das heisst konkret: Wie warm – und auch wie kühl – darf es in einem geschlossenen Raum nach individuellem Empfinden sein?
Und wie ist das ohne Umweltbelastung zu erreichen? Aus diesen Vorgaben hat Georg Dubacher ein optimales, komplett CO2-neutrales Systemkonzept entwickelt. Erst auf der Grundlage dieses Konzepts, begann die Planung der Architektur. Das Bauen orientiert sich also an der Energie und nicht umgekehrt. Das ist einzigartig.
Dass dies möglich war, lag aber nicht nur am Willen der Cham Group, sondern auch an den Standortvorteilen des Papieri-Areals mit der Lage am Fluss, mit idealer Bodenbeschaffenheit für Erdsonden sowie an der notwendigen Arealgrösse.
«Wir konnten durch die vorhandenen Energiequellen einen perfekt geschlossenen Kreislauf für Wärme und Kälte entwickeln.»
Georg Dubacher
Doch wie funktioniert das System im Detail? Es besteht einerseits aus einem natürlichen Wärme-Kälte-Kreislauf: Mittels 320 Meter tiefen Erdsonden wird dem Boden Wärme entzogen. Die Erdsonden liefern zusammen mit der Wärme des Lorze-Flusswassers die benötigte Wärme. Durch den Wärmeentzug kühlt sich der Boden ab. Im Sommer funktioniert das System umgekehrt: Dann kann das kühlere Erdreich genutzt werden, um die Räume zu kühlen. Dieses Vorgehen wiederum wärmt den Boden auf, sodass für die kalte Jahreszeit wieder genug Wärme zur Verfügung steht. Der Boden dient als riesiger, natürlicher Wärme- und Kältespeicher.
Andererseits war es von Anfang an erklärtes Ziel der Cham Group, möglichst viel der benötigten Energie auf dem Papieri-Areal selbst zu produzieren. Dafür konzipierte man ein eigenes Stromnetz, ähnlich gross wie das einer Kleinstadt. Knapp die Hälfte des benötigten Stroms wird vor Ort produziert: Rund 50% davon stammen vom Flusskraftwerk an der Lorze, welches gerade auf den neusten Stand gebracht wird. Die alten Turbinen aus Holz gehen in die verdiente Rente, eine davon wird später als Zeitzeuge auf dem Areal ausgestellt werden. Um die erste Konzession zum Betrieb eines Flusskraftwerks im Kanton zu erhalten, erbrachte die Cham Group verschiedene ökologische Nachweise, die aufzeigten, dass durch das neue Kraftwerk mehr Vorteile als Nachteile für die Natur entstehen. Es wird eine Fisch- und Bibertreppe gebaut, um sicherzustellen, dass sich diese Lebewesen frei flussauf- und abwärts bewegen können. Zudem wird ein grosser Bereich im Norden des Areals renaturiert und unberührt gelassen.
Weitere 50% des Stroms werden mittels Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern der Neubauten produziert, der Rest wird CO2-neutral vom öffentlichen Stromnetz bezogen. Durch dieses ausgeklügelte System wird der produzierte Strom kostengünstig an alle Nutzer auf dem Areal weiterverkauft. «Wir bringen die Intelligenz und diese Komplexität der Vernetzung durch die Smart-Home-Lösung in jeden Raum, das ist sehr zukunftsorientiert und einzigartig in der Schweiz», so Roland Regli.
Von diesen Lösungen profitieren aber nicht nur das Papieri-Areal, sondern auch die gesamte Region: Denn wenn sich Stadteile oder Quartiere autark mit Energie versorgen können, entlastet dies regionale und überregionale Netze, und vermindert ineffiziente Energietransportwege und das Zuführen von fossilen Energieträgern aus dem Ausland.
«Autarke Energiecluster sind zukünftig sehr wichtig zur Erreichung unserer Klimaziele. Denn sie entlasten auch die überregionale Stromversorgung wesentlich.»
Roland Regli
«In der Schweiz ist es bis jetzt kein Standard, Wohnungen zu kühlen. Wir schaffen das ohne grossen Energieaufwand und ohne CO2-Ausstoss. Wir orientieren uns mit der Arealentwicklung Papieri an den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft», führt Georg Dubacher aus. Noch liegt der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie in der Schweiz bei ca. 8000 Watt. Um den eigenen Verbrauch kontrollieren zu können, leistet das Energiesystem des Papieri-Areals einen aktiven Beitrag. Auf dem Touchpanel der Smart Home Lösung in der Wohnung oder auf der App kann man individuell vergleichen, wie nah man bereits am 2000-Watt-Ziel ist. Studien haben gezeigt, dass diese Sichtbarkeit die Bereitschaft einer Optimierung des eigenen Energieverbrauchs deutlich erhöht.
«Ich freue mich sehr, dass wir zu Beginn der Arealentwicklung die Frage, ob wir nicht gänzlich auf fossile Energien verzichten wollen, klar mit ja beantwortet hatten. Die Energieversorgung auf dem Papieri-Areal ist komplett CO2-neutral und erlaubt uns, die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft umzusetzen. Innerhalb von «nur» drei Jahren erfolgte die gesamte Planung des Energiesystems inklusive erster Teilrealisierung.» - Roland Regli
Zusätzlich wird das nachhaltige Leben weiter vereinfacht durch intelligente Gebäudehüllen mit automatischem Beschattungssystem. Die Storen werden beispielsweise im Winter in der Nacht automatisch geschlossen, um die Wärmeverluste zu reduzieren. Und im Sommer helfen sie im geschlossenen Zustand, dass die Wohnungen weniger aufgeheizt werden. Auch der nachhaltigen Mobilität wird Rechnung getragen: Öffentlich zugängliche Ladestationen in den Garagen und ultraschnelle für Turboaufladungen am Papieri-Ring – der eigentlichen Areal-Erschliessungsstrasse – tragen zur Reduktion des CO2-Verbrauchs bei.
«Besonders stolz macht mich, dass wir eine hohe Energie-Autarkie erreichen konnten. Auch wenn der Bau- und Planungsaufwand dafür massiv grösser ist: Der Betriebsaufwand des nachhaltigen Energiesystems ist schlank und effizient, schliesslich muss auch kein Öl mehr bestellt werden», lacht Georg Dubacher augenzwinkernd.